Warum ist Japan so begeistert von klassischer Musik aus Europa?

24.11.2023  ·  Johanna Wend (Interview), Konrad Stöhr (Fotos)  ·  Asientournee NOV 2023

Miho Tomiyasu-Palma Marques, Konzertmeisterin der 2. Violinen, ist gebürtige Japanerin und hat in Tokio an der staatlichen Musikhochschule studiert bevor sie 1995 zum Gewandhausorchester kam. Im Interview schwelgt sie heute in Erinnerungen an ihre erste Japantournee als damals erste Japanerin im Gewandhausorchesters und erzählt uns mehr über die Begeisterung ihrer Landsleute für klassische, europäische Musik.

Das Gewandhausorchester gastiert zurzeit in Japan, deiner Heimat, wo auch deine musikalischen Wurzeln liegen. Kannst du dich noch an deine erste Asientournee mit dem Orchester erinnern?

Ja, das war 1999 mit Herbert Blomstedt. Da waren wir auf großer Japantournee quer durchs Land von Norden bis Süden. Wir haben zahlreiche Konzerte gegeben, die immer sehr gut besucht waren, und auf dem Programm standen viele anspruchsvolle Werke. Ich habe mich sehr geehrt gefühlt, in einem so großen europäischen Orchester mitspielen zu dürfen. In Tokio, meiner Heimatstadt, habe ich viele meiner Freunde und Familienmitglieder wiedergesehen. Sie sind auch zum Konzert gekommen, um mich mit dem Orchester spielen zu hören. Das war sehr schön. Und bei jedem Konzert hat mir Herr Blomstedt den Blumenstrauß gereicht. Er hat dem Publikum damit gezeigt: Zum allerersten Mal spielt auch eine Japanerin hier im Gewandhausorchester.

Was haben deine Freunde und Familienmitglieder damals dazu gesagt, dass du als Geigerin mit dem Gewandhausorchester in Japan aufgetreten bist?

Das war schon etwas Besonderes. In westlichen Orchestern haben viele Japanerinnen und Japaner gespielt. Aber die Orchester der ehemaligen DDR waren für uns damals nicht zugänglich. Ich war die erste Japanerin im Gewandhausorchester. Mittlerweile ist das Orchester viel internationaler aufgestellt. Aber als ich Anfang der 90er ins Orchester kam, war das eben noch nicht so. Das war etwas Besonderes – das wussten auch meine Freunde und Familie in Japan.

Woran erinnerst du dich besonders gern zurück an dieser Japantournee?

Da gibt es natürlich viele schöne Erinnerungen. Damals war Japan wirtschaftlich sehr stark und es gab auch viele Konzertsäle abseits der Städte. Einmal haben wir an so einem kleinen Ort gespielt, der umgeben von Gebirge war und inmitten der Reisfelder. Alles war ländlich und grün und trotzdem gab es mittendrin eine große Konzerthalle. Das hat uns sehr gewundert und wir haben uns gefragt, ob überhaupt Leute in diese Gegend kommen werden, um sich so ein großes Konzert anzusehen. Aber die Konzertsäle waren wirklich immer gut gefüllt! Und die Säle waren dort unglaublich schön. Das hat mich gefreut, auch an so kleinen Orten auf dem Land spielen zu dürfen. Und dort wurden wir immer sehr herzlich empfangen.

Japan ist das Land, in dem das Gewandhausorchester bisher die meisten Tourneekonzerte gegeben hat. Woher kommt die Begeisterung der Japanerinnen und Japaner für klassische Musik aus Europa?

Klassische Musik hat für uns eine lange Geschichte und bereits vor dem ersten Weltkrieg hat man in Japan klassische, europäische Musik gehört. Leute aus den oberen gesellschaftlichen Schichten haben Instrumente gelernt und sich im Bereich Musik gebildet. Beethoven und Bach waren omnipräsent. In der Grundschule lernen wir schon im Musikunterricht europäische Musik kennen. Mehr als die Hälfte des Lehrprogramms im Musikunterricht besteht aus europäischer Musik. So lernt man schon im jungen Alter viel über Mozart und Beethoven. Jedes Kind kennt Mozarts „Kleine Nachtmusik“ oder Beethovens „Neunte“ und „Fünfte“. Meine Schwester ist in Japan Musiklehrerin und sie erzählt mir immer, wie begeistert die Kinder auch heute noch von klassischer Musik aus Europa sind.

Du hast eben schon erzählt, dass es für dich eine große Ehre war, in einem europäischen Orchester spielen zu dürfen. Wie bekannt ist denn das Gewandhausorchester in Japan und wie wird es dort wahrgenommen?

Das Gewandhausorchester galt schon in den 60er Jahren in Japan als beliebtes, traditionsreiches, altes Orchester. Als Japanerin in diesem Orchester mitspielen zu dürfen, war für mich, wie schon gesagt, eine große Ehre. Natürlich gibt es auch andere Orchester, die sehr beliebt sind, aber es gab schon damals ein japanisches Stammpublikum, das vor allem die Konzerte des Gewandhausorchesters besuchte. Ebenso beeindruckend ist es, wenn man mit dem Thomanerchor Konzerte in Japan gibt. Da gibt es viele Personen im Publikum in den ersten Reihen, die den Text leise mitsprechen oder beten und sehr emotional auf die Musik reagieren.

Mir wurde auch einmal gesagt, dass der Klang des Gewandhausorchesters in Japan als sehr silbrig und dunkel charakterisiert wird. Jedes Orchester wird anders beschrieben. Und der dunkle Klang ist genau das, was in Japan als Besonderheit des Gewandhausorchesters angesehen wird.

Gibt es etwas, das dir in Deutschland fehlt, worauf du dich jetzt hier in Japan freust?

Japan ist mein Heimatland. Wenn ich dort bin, sind um mich herum Japanerinnen und Japaner. Hier kann ich besser in der Menschenmenge untergehen und falle nicht mehr so auf – das genieße ich sehr. Ich lese auch sehr gerne. In Deutschland gibt es leider kaum japanischen Bücher und ich freue mich, jetzt wieder Bücher kaufen zu können und diese mit nach Deutschland zu bringen.

An welche Orte hier in Japan gehst du gerne an konzertfreien Tagen? Was kannst du unseren Followerinnen und Followern empfehlen?

Ende November ist die Färbung der Blätter hier besonders schön. Am besten fährt man da ein bisschen raus in die Natur. Etwa anderthalb Stunden von Tokio entfernt gibt es auch einen Fluss, der heißt „Hikawa-Keikoku“. Dort kann man entlang des Flusses, umgeben von Gebirge eine sehr schöne Wanderung machen und diese herbstlich gefärbten Bäume bewundern. Die Farben sind ganz besonders strahlend - rot, orange, sehr intensiv und prachtvoll. Den japanischen Herbst zu erleben, das empfehle ich jedem bei gutem Wetter.

Die Tournee neigt sich jetzt mit diesem letzten Stop in Japan dem Ende entgegen. Was machst du zurück in Leipzig, um dich etwas von dem ganzen Tournee-Trubel zu erholen?

Ich habe einen kleinen Garten. Ihn zu pflegen, das ist für mich Seelenreinigung. Aber ich werde mir dann auch Zeit nehmen, die Bücher, die ich aus Japan mitgebracht habe, in Ruhe zu verschlingen.