Tokyo Flute Space

26.05.2019  ·  Dirk Steiner  ·  Asientournee MAI 2019

Ein bisschen klingt es wie beim Arztbesuch, wenn Manfred Ludwig (2. Flöte) dem Flötenspezialisten Toru Nomura das Problem einer seiner Flöten schildert, die durch ein umgestürztes Notenpult Schaden genommen hat. Zwar wurde die Flöte repariert und sie ist auch wieder spielbar, die Tonhöhen stimmen rein physikalisch ebenfalls, aber etwas ist zurück geblieben. Es ist allerdings in diesem Fall kein sichtbares Problem, keines der Mechanik und eben deshalb so schwer zu erklären. Dennoch ist es hörbar: Nach der Reparatur beim Hersteller hatte die Flöte plötzlich eine andere Klangfarbe - aber grade sie war es, die die Flöte so besonders machte.

Toru Nomura hört geduldig zu, begutachtet das Instrument intensiv von allen Seiten, hinterfragt jede Aussage des Musikers und lässt sich Manfreds Eindrücke beim Spielen immer und immer wieder schildern. Dabei macht sich der perfekt Deutsch sprechende Flötenspezialist  auf einem eng beschriebenen Vordruck zahllose Notizen und erstellt auf diese Weise eine Art Anamnese der Flöte und ihres Spielers. Das Blatt wandert später in das Dossier, das Toru von jedem seiner Kunden anlegt. Schließlich muss er immer genau nachvollziehen können, welche Handgriffe er an der Flöte vorgenommen hat und warum.

Manfred Ludwig, wie viele andere Flötenprofis aus den berühmtesten Orchestern weltweit, schwört auf den japanischen Holzblasinstrumentenbauer. Alleine aus dem Gewandhausorchester gehören alle Flötistinnen und Flötisten zu seinen Kunden. Toru Nomura hat seine Leidenschaft für das Flötenspiel mit seiner Begeisterung für Mechanik und seinem handwerklichen Geschick in seinem Beruf miteinander vereint. Nach dem Flötenstudium hat er zwei Jahre in Budapest und drei Jahre in Großbritannien Klarinettenbau und Reparatur moderner Holzblasinstrumente erlernt, hat zehn Jahre beim Flötenbauer Yamaha in dessen deutscher Niederlassung gearbeitet und hat sich dann in Tokio selbständig gemacht.

Die Prozedur der Betrachtung und Ausmessens der Flöte nimmt viel Zeit in Anspruch. Aber vor allem nimmt sich Toru Nomura unendlich viel Zeit zum Zuhören. Nachdem der Leipziger Musiker das Problem in immer neuen Worten beschrieben hat, lässt Toru ihn eine Weile lang vorspielen. Die ursprüngliche Klangfarbe, die der Musiker auch beim besten Willen mit noch so ausgefeilter Spieltechnik nicht wieder zurückholen kann, betrifft einen existentiellen Bereich eines jeden Gewandhausmusikers: den berühmten Gewandhausklang, den jeder mit seinem Instrument mitgestaltet. Deswegen setzt Manfred Ludwig auf die Kunst des Japaners, der den ursprünglichen Klang mit einer Mischung aus funkelnd silbrigem Glanz und „erdiger“ samtiger Basis, wieder zurückholen soll.

"Die Mechanik ist in Ordnung," so Torus erste Einschätzung. "Die Reparatur des mechanischen Schadens ist gut gelungen. Eine Generalüberholung oder eine erneute Reparatur sind nicht notwendig.“ Das klingt nach „Mission impossible“ und Manfred Ludwig wirkt für einen Bruchteil eines Augenblicks erschrocken. Toru Nomura schiebt nach: „Der Klang wirkt allerdings ein bisschen oberflächlich; die ursprüngliche klangliche Substanz, der Kern des Klangs, den ich von diesem Instrument kenne, ist verlorengegangen. Deswegen werde ich die Flöte neu einstellen und an der Intonation arbeiten."

Nach dieser Diagnose ist Manfred Ludwig erleichtert: "Toru ist ein Magier - er kriegt das wieder hin." 
Wie? Das bleibt sein Geheimnis.