Ein letztes Mal auf Tournee in Asien nach 40 Jahren

26.11.2023  ·  Johanna Wend (Interview) & Konrad Stöhr (Fotos)  ·  Asientournee NOV 2023

Unser Cellist Matthias Schreiber geht nach über 40 Jahren zum Ende der Saison in den wohlverdienten Ruhestand. Diese Reise ist seine letzte Asientournee. Höchste Zeit, dass er in Sapporo, der letzten Station dieser Asien-Tournee, nochmal ein paar Geschichten Revue passieren lässt.

Wann waren Sie zum ersten Mal auf Tournee und wohin ging es damals?

Eigentlich war es so, dass man in seiner ersten Spielzeit im Gewandhausorchester noch nicht reisen durfte, zumindest ins westliche Ausland nicht. Aber es kam zu einer außergewöhnlichen Situation während meiner ersten Spielzeit. Das Orchester ging auf Tournee und gleichzeitig gab die Oper ein Gastspiel in Madrid. Und es waren einfach nicht genügend Cellisten da, sodass ich schon im Frühjahr 1982 zum ersten Mal mit auf Reisen durfte. Das war für mich als DDR-Bürger ein unglaublich überwältigendes Erlebnis, in einer Stadt wie Madrid zu sein und dort mit dem Gewandhausorchester und der Oper Leipzig aufzutreten.

Wie muss man sich das vorstellen als Bürger der DDR, das Privileg haben zu dürfen, ins westliche Ausland zu reisen und Orte zu sehen, wovon andere DDR-Bürger nur träumen konnten?

Das klingt so als wären wir bevorzugt behandelt worden. Tatsächlich war das ja Arbeit für uns. In meinen ersten 10 Jahren bis zum Fall der Mauer sind wir unglaublich viel gereist. Wir waren in den USA und in Asien, dort vor allem in Japan. Aber auch in den europäischen Großstädten waren wir sehr oft und auch in Westdeutschland. Da war ich 1985 zum ersten Mal. Das war insofern besonders, weil ich dort viele Verwandte hatte, die ich auf diese Weise besuchen konnte. Die haben sonst immer uns besucht und das war mal eine Möglichkeit das Umfeld dort kennenzulernen. Dennoch war mir immer bewusst, dass das schon etwas Besonderes ist, was wir da machen können.

Ihre erste Asienreise führte also nach Japan. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Reise?

1983 war ich zum ersten Mal in Japan. Das war für mich damals erstmal so eine Art Kulturschock. Ich kannte Japan, wenn überhaupt, nur aus Büchern. Das war für mich wirklich ein eindrucksvolles Erlebnis, eine andere Kultur und eine ganz andere Lebensweise kennenzulernen. Es war alles absolut ungewöhnlich für uns. Asien war einfach nochmal eine ganz andere, entfernte Welt, in die wir da plötzlich eintauchen durften.

Was war vor 40 Jahren anders als heute? Wie hat sich das Reisen mit dem Orchester verändert?

Die Bedingungen waren damals natürlich andere. Wir haben zum Beispiel immer in Doppelzimmern gewohnt. Das war ganz selbstverständlich, sich gemeinsam mit einem Kollegen ein Zimmer zu teilen. Es gab ganz wenige Einzelzimmer und die haben dann die älteren Kollegen oder Solospieler bekommen. Aber die meisten Kollegen wohnten in Doppelzimmern. Man musste sich mit seinem Zimmerpartner arrangieren. Damals haben wir auch viel mehr Strecken mit dem Bus statt dem Flugzeug zurückgelegt. Gerade auf den USA-Reisen sind wir tausende Kilometer mit dem Bus gefahren. Die Reisebedingungen sind heute viel komfortabler. Man darf nicht vergessen, dass es für die DDR in erster Linie darum ging, das Orchester als Prestigeobjekt um die Welt zu schicken. Man wollte zeigen, was wir an Kultur zu bieten haben. Aber auf der anderen Seite war es natürlich auch eine große Einnahmequelle für Devisen. Das heißt, die Tourneekosten mussten so gering wie möglich gehalten werden, damit wir Devisen wieder ins Land mitzurückbringen. Das spielt heute keine Rolle mehr. Heute muss es halbwegs kostendeckend sein. Es darf kein Minus geben.

Und damals haben wir mit der Cello-Gruppe mehr Zimmerpartys gemacht. Das war Gang und Gebe, dass die Gruppen irgendwelche Zimmerpartys gemacht haben. Heute gehen wir stattdessen irgendwo schön essen.

Welche Tipps würden Sie jungen Kolleginnen und Kollegen geben, die zum ersten Mal auf Tournee gehen?

Ich glaube, ich will da keine Ratschläge erteilen. Das macht ja jeder unterschiedlich. Für sie ist es natürlich viel selbstverständlicher, auf Reisen zu gehen, als es das für uns vielleicht war. Das einzige was ich raten würde ist, immer interessiert und offen zu bleiben für alles, was es zu erleben gibt. Aber das machen die jungen Kollegen schon von alleine.

Gibt es eine Tournee, an die Sie sich besonders gern zurückerinnern? Eine Tournee, die vielleicht besonders legendär war.

Es gab eine Tournee, die ganz besonders lang war. Da haben wir an der Ostküste der USA angefangen, sind dann an die Westküste geflogen und anschließend ging es noch weiter nach Asien. Diese Tournee ging fast 6 Wochen. Auch da hatten wir Doppelzimmer, haben aber dann immer mal die Zimmerpartner gewechselt. Irgendwann geht man sich sonst auf den Keks. Das erfordert wirklich viel Toleranz und Rücksicht. Ich hatte immer Glück, weil ich meistens befreundete Kollegen dabeihatte, mit denen ich mir ein Zimmer geteilt habe.

An welche besonders schönen oder besonders lustigen Ereignisse erinnern Sie sich gern zurück?

Es war ja so, dass wir zu DDR-Zeiten Spesen bekommen haben. Wir wollten aber auch sparen und nicht alles für Essen ausgeben. Also haben wir unsere Koffer vollgepackt mit Konservendosen. Einige Kollegen haben sogar Kartoffeln mitgenommen und teilweise auch kleine Kocher. Damit haben wir auf den Zimmern gekocht. Manchmal ist dann im Hotel die Sicherung rausgeflogen, wenn so viele den Kocher angemacht haben. Darauf war die Elektrik der Hotels nicht immer vorbereitet. Aber so haben wir Geld gespart und mehr Geld für Mitbringsel gehabt. Gerade vor den Tourneen nach Asien haben viele Kollegen gespart, um sich Elektronik kaufen zu können, die in Asien relativ preiswert war. Viele haben sich Stereoanlagen und Fernseher gekauft. Es gab einen ganz cleveren Händler in Tokio, der zu uns gesagt hat: „Ihr könnt alles kaufen und ich bezahle den Container für den Transport nach Leipzig.“ Schließlich konnten wir das gar nicht alles tragen. Er hat uns die Sachen mit dem Container nach Leipzig schiffen lassen. Ein viertel Jahr später kam der Container dann in Leipzig an. Das war immer spannend, wenn dann der Container vorm Gewandhaus abgestellt und ausgeladen wurde und alle ihre Sachen in Empfang nahmen.

Was ist ihr schönstes Mitbringsel gewesen?

Vor etlichen Jahren habe ich mir in Japan zwei schöne Kochmesser gekauft. Die sind mir bis heute erhalten geblieben und die werden mich auch überleben. Ansonsten habe ich früher immer was für meine Kinder mitgebracht. Von jeder Reise wurde für jedes Kind eine Kleinigkeit mitgebracht.

Werden Sie das Tourneeleben vermissen?

Also ich habe das viele Jahre gerne gemacht und ich mache das auch immer noch gerne. Wenn ich aufhöre im Sommer, dann fängt ein anderer Abschnitt an und darauf kann man sich ja einstellen. Ich bin jetzt nicht traurig darüber, ich weiß, dass es jetzt so ist. Und dann wird das Reisen anders. Wenn ich irgendwo hinfahren will, kann ich dahin fahren und mal alles in Ruhe genießen.

Wohin fahren Sie zuerst? Und was machen Sie da, was Sie sonst auf Tournee nie machen konnten?

Ich weiß nicht, ob ich danach nochmal nach Japan privat fliegen werde. Das glaube ich eher nicht. Aber es gibt viele Länder, wo man nochmal hinfahren könnte. Es gibt so viel, was man noch entdecken kann.