Abschied nach 45 Jahren: Gerhard Hundt

08.05.2018  ·  Dirk Steiner  ·  Europatournee APR 2018

Der Schlagzeuger Gerhard Hundt gibt nach 45 Dienstjahren im Gewandhausorchester sein letztes Tourneekonzert in Madrid, bevor er im Sommer in den Ruhestand gehen wird. Vor allem in dem Stück „Chiasma“ von Thomas Lacher ist der Musiker auf dieser Tournee besonders stark im Einsatz.

Schon als Grundschüler in Halberstadt wollte Gerhard Hundt (9. Oktober 1952) unbedingt im neu gegründeten Schulorchester als Trompeter mitspielen. Als Zehnjähriger erhielt er zunächst auf dem Althorn Unterricht, später spielte er Flügelhorn. Sein Lehrer war überzeugt vom Talent des Jungen, sodass er ihn ungefragt an der Spezialschule für Musik in Halle anmeldete. Er gab allerdings auch zu bedenken, dass eine Fehlstellung der oberen Schneidezähne die Berufskarriere als Trompeter behindern würde.

Der Zufall wollte es, dass noch während des Aufnahmeprozederes an der Spezialschule ein Schlagzeugschüler auf dem Xylophon das Virtuosen-Stück „Zirkus Renz“ spielte. Es muss Gerhard Hundt wie ein Blitz getroffen haben, außerdem wäre das Zahnproblem damit erledigt und so fragte er kurzentschlossen, ob er nicht auch Schlagzeugunterricht nehmen könne. Die Trompete war vergessen, die grade neu gegründete Schule war glücklich einen freiwilligen Schlagzeugschüler zu bekommen und nahm ihn auf. Eigentlich wollte der Nachwuchsmusiker jedoch Drummer werden, um Musik zu machen, die er auch aus seinem Elternhaus kannte, wo Klassik keine Rolle spielte. In der Spezialschule war Tanzmusik jedoch verboten, denn die Verantwortlichen an der Schule waren der Meinung, dass sie der klassischen Ausbildung schade. Gerhard Hundts Lehrer, Ekkehard Keune, hat den Schüler dann geschickt von der Klassik überzeugen können: er nahm den Zwölfjährigen regelmäßig mit in den Orchestergraben der Oper und vermittelte ihm so hautnah die Faszination für die Musik. Kaum kam Hundt 1969 an die Musikhochschule nach Leipzig wo eine Band einen Drummer suchte, kam seine Entscheidung erneut ins Wanken. Parallel zum Schlagzeugstudium nahm er deswegen auch Unterricht am Drumset. Zwar konnte der Nachwuchsschlagzeuger bereits im ersten Studienjahr als Substitut beim Gewandhausorchester spielen, aber erst als er 1973, direkt im Anschluss an sein Studium, die feste Stelle im Orchester bekam, wurde sein Entschluss, sein Berufsleben der Klassik zu verschreiben, unabänderlich. Dem Drummer in ihm bleib er allerdings insofern treu, als dass er an der Musikhochschule über zehn Jahre lang dieses Instrument unterrichtete. „Mit dem Engagement im Gewandhausorchester hatte ich meine Bestimmung gefunden“, sagt Gerhard Hundt voller Überzeugung. „Ich bin noch immer glücklich in meinem Beruf.“ Er schätzt nicht nur die hohe Klangkultur sondern auch die ausgeprägte Musizierfreude und den starken Zusammenhalt, den das Gewandhausorchester auszeichne sowie die Tradition, den besonderen Klang an nächste Generationen weiterzugeben. „Auch in der Schlagzeuggruppe gab es immer Vorbilder, von denen man lernen konnte, wie der Klang produziert werden muss“, erklärt er. Vor allem beim Spielen der Becken wird im Gewandhausorchester seit Generationen eine bestimmte Technik gepflegt, die es ermöglicht, das gesamte Klangspektrum des Instruments frei zu setzen, das dadurch volltönender klingt als anderswo. Dabei hängen die einzeln bis zu 5 Kilogramm schweren Becken frei schwingend an Ledergriffen, die über den Zeigefingern liegen, ohne dass die Hand das Becken berührt. Beim Spielen fängt die linke Hand die Wucht des Schlages auf – das hat nicht nur regelmäßig Blasen an den Fingern zurück gelassen sondern auch ein zerstörtes Zeigefingergelenk. „Ansonsten empfinde ich auch nach 45 Berufsjahren keinerlei Einschränkungen“, freut sich der Musiker.

Neben seinem Orchesterdienst, bei dem er auch über tausend Tourneekonzerte absolvierte, hat Gerhard Hundt auch Soloprogramme gestaltet und sich immer wieder neue musikalische Welten erschlossen. Zum Beispiel hat er sich das Spielen von Handkastagnetten beigebracht. „Die Dirigenten freuen sich, wenn man in der Oper Carmen oder im Ballett Schwanensee die Kastagnetten frei spielt.“ Eine ganz andere Welt, die sich der Musiker erschlossen hat, ist das Schreiben von praxisorientierten Noten. Schon sehr früh hat der engagierte Musiker damit begonnen, für die Schlagzeuggruppe spezielles Notenmaterial für das Spielen in der Oper von Hand an zu fertigen, das eine bessere Übersichtlichkeit gewährleistete. Gemeinsam mit einem Kollegen und einem Software gestützten Notenschreibprogramm übernimmt er diese Aufgabe heute für ganze Orchesterwerke. Die horrenden Leihgebühren für das schlechte Notenmaterial von Mahlers 4. Sinfonie haben den Ausschlag dafür gegeben, das Anfertigen von Spielmaterial in größerem Umfang an zu gehen. Dabei geht er auf die Bedürfnisse der einzelnen Stimmgruppen ein, setzt sinnvolle Stichnoten, optimiert die Lesbarkeit des Notenbildes und die Wendestellen, an denen sinnvoll geblättert werden kann. „Dass wir unsere Kollegen befragen können, welche Anforderungen sie an die Stimmen stellen, ist ein entscheidender Vorteil den wir gegenüber den Verlagen haben,“ sagt Gerhard Hundt stolz. Auf Tourneen nutzt er die Gelegenheit, seine Orchesterstimmen und Partituren den Orchesterbibliothekaren in aller Welt vor zu stellen. Das Gewandhausorchester und die Dresdner Staatskapelle und andere renommierte Orchester spielen bereits aus seinem Material. Dem Herstellen von Notenmaterial wird er in Zukunft noch mehr Zeit widmen. Aufgrund der Spielpläne in Oper und Gewandhaus werden je nach Besetzung häufiger zusätzliche Schlagzeuger gebraucht, sodass er auch als Ruheständler vielleicht noch als Aushilfe auf der Bühne oder im Orchestergraben zu sehen und zu hören sein wird. Nach der Zukunft des Orchesters befragt ist Hundt positiv gestimmt. Nelsons stelle den musikalischen Ausdruck über Alles. „Das tut dem Orchester gut, denn er macht unglaublich Musik“, schwärmt Hundt über den 21. Gewandhauskapellmeister. Selbstverständlich müsse musikalischer Ausdruck und technische Präzision idealerweise zusammen gehen, aber „wir müssen uns auch erst einmal aneinander gewöhnen und lernen, was er uns auf welche Weise zeigt und wie sein Dirigat zu lesen ist.“ Er ist davon überzeugt, dass diese Haltung auch einen Nerv beim Publikum trifft und schließlich mache man ja Musik nicht nur für sich oder die Kollegen sondern vor allem für das Publikum!

Die Kolleginnen und Kollegen des Orchesters, der Verwaltung und der Technik des Gewandhauses wünschen Gerhard Hundt eine anregende Zeit im neuen Lebensabschnitt.